Erstarrte Blitze
Fulgurite aus der libyschen Sahara

Astronom, Mathematiker, Bibliothekar, Professor für Physik und Chemie – Ludwig Wilhelm Gilbert (1769–1824) war ein umfassend gebildeter Mann und vertraut mit vielen Rätseln der Natur. Wenn er in Veröffentlichungen Superlative nutzte, sollte man daher aufhorchen. Im Jahr 1822 schrieb er über eine im Königlichen Mineralienkabinett Dresden ausgestellte Blitzröhre und hielt sie „bei weitem für die interessanteste und größte Natur-Merkwürdigkeit, welche dieses Kabinett oder vielleicht irgend eine Sammlung von Merkwürdigkeiten aus dem Mineralreiche besitzt.“ [1]
Als er diese Zeilen zu Papier brachte, waren deutsche Geologen und Bodenkundler bereits mit Blitzröhren vertraut. Das war jedoch lange Zeit nicht der Fall.

In der Vitrine „Ans Licht gebracht“ präsentieren wir drei Monate lang einige dieser geologisch überaus interessanten Objekte aus der libyschen Sahara. Sie kamen als Schenkung von Eva-Maria Langensteiner (Ettlingen) in die Sammlung des Museums.

Die Fachwelt weiß nicht weiter
Jahrhundertelang konnten sich die Menschen keinen Reim auf diese seltsamen steinernen Röhren machen, die sie senkrecht im Boden steckend fanden. Selbst der berühmte persische Universalgelehrte Ibn Sina (um 979–1037) scheiterte im 11. Jahrhundert an einer schlüssigen Erklärung. Er hatte kupferhaltige Röhren in der weiten Steppe der zentralasiatischen Region Turkestan gefunden und versucht, sie zu schmelzen, wobei sie mit grünem Rauch brannten und eine ascheartige Substanz hinterließen. [2] Auch sein Zeitgenosse und Kollege al-Bīrūnī (973–1048) forschte zu diesem Thema.

Ungefähr 700 Jahre später stellte man sich im ländlichen Mitteleuropa ähnliche Fragen wie der weltbekannte Ibn Sina. Leonhard David Hermann (1670–1736) war evangelischer Pastor im Städtchen Massel (Masłów) bei Trebnitz (Trzebnica) im niederschlesischen Herzogtum Oels. Er war jedoch auch ein umtriebiger Heimatforscher, Regionalhistoriker und Archäologe. [3] Bei seinen Feldforschungen hatte er ab 1706 in der Region zahlreiche bronze- und eisenzeitliche Brandgräber und darin enthaltene Urnengefäße ausgegraben und war dabei auch auf Blitzröhren gestoßen. Seine Ergebnisse publizierte er 1711 im dreibändigen Werk Maslographia. Seiner Ansicht nach stellten die Röhren „eine Frucht von einem unterirdischen Feuer“ [4] dar und er schrieb ihnen sogar einen möglichen medizinischen Nutzen zu. Nach Hermanns Tod gerieten seine Arbeiten rasch in Vergessenheit. Andere bekannte Naturforscher – wie beispielsweise Horace Bénédict de Saussure (1740–1799), Alexander von Humboldt (1769–1859) und Charles Darwin (1809–1882) – beschäftigten sich ebenfalls mit Blitzröhren.

Des Rätsels Lösung in der Heide
Erst im Jahr 1805 erkannte der Mineraloge Johann Karl Wilhelm Voigt (1752–1821), der als Bergrat im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach einer der Mitarbeiter des dortigen Bergbauministers Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) war, anhand von Funden aus der Region Lippe den Ursprung der hohlen Objekte. Es handelte sich um Exemplare, die der Landwirt Hentzen bei Wanderungen durch die sandige Heidelandschaft Senne entdeckt hatte. [5] Voigt lieferte die korrekte Erklärung zur Entstehung und etablierte auch die Bezeichnung „Blitzröhren“.  
Die erste ausführliche Beschreibung erfolgte dann 1817 in den Annalen der Physik durch Karl Gustav Fiedler (1791–1853). Dieser hatte zusammen mit Hentzen erneut die Senne durchstreift und dabei mehrere Röhren gefunden. In seiner Publikation erläuterte er die jeweiligen Fundsituationen, schrieb über die mineralogisch-physikalischen Eigenschaften der Röhren und erläuterte ihre wissenschaftliche Präparation. [6]

Heißer Sand und viele Glühlampen
Blitzröhren – auch als Fulgurite (von lateinisch fulgur = „Blitz“) bezeichnet – verdanken ihre Entstehung der Kombination von roher atmosphärischer Gewalt, viel Energie und hohen Temperaturen. Nachdem sich in einer Gewitterwolke eine elektrische Ladung aufgebaut hat, muss für die Bildung eines Blitzes zwischen der Wolke und der Erde ein Potentialunterschied von einigen zehn Millionen Volt herrschen. Der Blitz fungiert dann als Potentialausgleich und die Stromstärke seines Lichtbogens kann bis zu 400.000 Ampere betragen – das ist fast eine Million Mal so stark wie eine gewöhnliche Glühlampe.
Die Fulgurite bilden sich unter bestimmten Bedingungen, wenn Blitze in den Untergrund, beispielsweise in silikatreichen Sand, einschlagen. In Anlehnung an metamorphe Gesteine, die tief in der Erdkruste unter Druck- und Temperatureinwirkung mineralogisch verändert werden, existiert für Blitzröhren auch der Begriff der „Pyrometamorphite“ (von griechisch pyr: „Feuer“). [7]

Sonnenglut schmilzt Wüstensand
Durch die enormen Temperaturen von bis zu 30.000 °C – mehr als das fünffache der effektiven Oberflächentemperatur der Sonne – wird das jeweilige Material des Untergrundes am Einschlagsort geschmolzen (Quarz etwa, der Hauptbestandteil vieler Sande, schmilzt bei 1713 °C) und verschweißt. Dabei formen sich bizarre, bis zu mehrere Meter lange Gebilde, die sich häufig nach unten verjüngen und an den unteren Enden verzweigen. Aus dem Inneren der entstehenden Röhren wird auf Grund der Energie des Einschlags Material herausgeschleudert, wodurch sich die hohlen Strukturen bilden.

Die innere Wand der Röhren ist in der Regel durch die rasche Abkühlung nach dem Einschlag glasig und amorph. Das heißt, dass im aufgeschmolzenen Material keine neuen Minerale auskristallisieren konnten. Außen sind die Röhren nicht selten mit einer Schicht verbackener (schmelzgesinterter), aber nicht verglaster Sandkörner bedeckt, die eine raue Oberfläche bilden. [8] Mineralogisch erwähnenswert ist, dass in Fulguriten auch Lechatelierit nachgewiesen wurde. Dieses sehr seltene natürliche Kieselglas aus amorphem Siliziumdioxid ist sonst nur aus zwei geologischen Zusammenhängen bekannt: Es entsteht in Myloniten, also metamorphen Gesteinskörpern, die an Störungszonen stark zerschert und plastisch verformt werden, sowie bei Meteoriteneinschlägen. [7]

Die Form der Röhren ist von zahlreichen Faktoren abhängig – angefangen bei der Blitzstärke, über die Zusammensetzung des Untergrundes bis hin zur Luftfeuchtigkeit. Sobald der umgebende Sand verweht wird, ragen die verwitterungsresistenten Fulgurite markant aus dem Boden. Eine entsprechende Fundsituation wurde für die Vitrine präpariert.

Quellen

  1. Pfaff, C. H. (1822): Beobachtete Entstehung einer Blitzröhre durch den Blitz; Magnetisierung durch den Blitz; Versuche über die Zusammendrückbarkeit des Wassers; und Controverse über das Seewasser. In: Annalen der Physik. Band 72, erstes Stück, Seiten 111–112
  2. Haschmi, M. Y. (1966): Die geologischen und mineralogischen Kenntnisse bei Ibn Sīnā. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Band 116, № 1, Seiten 44–59.
  3. Grünert, H. (1992): Ur- und Frühgeschichtsforschung in Berlin. In: Hansen, R. (Hrsg.) Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert. In der Reihe: „Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin“, Band 82. Verlag Walter de Gruyter, ISBN 3-11-012841-1, Seiten 91–148.
  4. Hermann, L. D. (1711): Maslographia oder Beschreibung des schlesischen Massel im Oels-Bernstädtischen Fürstenthum mit seinen Schauwürdigkeiten. Verlag von Christian Brachvogel, Breslau, Seiten 191–193.
  5. Voigt, J. K. W. (1805): Nachricht von den Blitzröhren. In: Magazin für den neuesten Zustand der Naturkunde. Band 10, Seiten 491-495.
  6. Fiedler, K. G. (1817): Ueber die Blitzröhren und ihre Entstehung. In: Annalen der Physik. Band 55, zweites Stück, Seiten 121–164.
  7. https://www.bgr.bund.de/DE/Themen/Sammlungen-Grundlagen/GG_Sammlungen/Objekt_Quartal/0416_fulgurit.html?nn=1541516        (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe)
  8. https://www.mineralienatlas.de/lexikon/index.php/RockData?lang=de&rock=Fulgurit