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Früher war mehr Lametta… und auch mehr Schmetterlinge!
Wandel der Nachtfalterfauna Baden-Württembergs seit 1970
Die weißen Falter in unserer Sondervitrine symbolisieren verschwundene Schmetterlingsarten. Das Artensterben macht auch vor Schmetterlingen keinen Halt.
Aber Moment mal! Woher wissen wir, dass Arten aussterben? Woher wissen wir, dass es innerhalb der verbliebenen Arten immer weniger Individuen gibt?
Diese Daten stammen aus Projekten, in denen über viele Jahre hinweg Schmetterlinge beobachtet, gesammelt, bestimmt und kartiert werden. Ein solches langfristiges „Monitoring“-Projekt ist die Landesdatenbank Schmetterlinge Baden-Württemberg. Die Datenerfassung startete in den 1960er Jahren und wird seit 2003 von unserem Schmetterlingsexperten Dr. Robert Trusch fortgeführt. Seit einigen Jahren ist diese Datenbank online zugänglich und wird von unzähligen ehrenamtlich tätigen Fachleuten mit Daten aus ganz Baden-Württemberg bestückt (www.schmetterlinge-bw.de). Dazu wurde die topografische Karte Baden-Württembergs im Maßstab 1:25.000 gleichmäßig in über 300 Quadranten aufgeteilt. Für jeden Quadranten werden seit Jahrzehnten Daten erfasst. Historische Nachweise und aktuelle Meldungen werden so in einer zentralen Datenbank am Naturkundemuseum Karlsruhe vereinigt und können ausgewertet werden.
Im Jahr 2019 startete ein Projekt gemeinsam mit der LUBW Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg, in dem die Nachtfalter genauer untersucht wurden. Nachtfalter sind Schmetterlinge, die hauptsächlich nachts fliegen. Sie werden also nach ihrer Lebensweise in einer Gruppe zusammengefasst und sind nicht näher miteinander verwandt. Doch für solch ein Monitoring-Projekt sind sie gut geeignet: Sie haben mit rund 950 Arten in Baden-Württemberg eine hohe Vielfalt, sind in nahezu allen Biotopen an Land zu finden, umfassen viele seltene und gefährdete Arten, sie sind über nächtliche Lichtfänge gut zu erfassen und es gibt eine gute historische Datenlage. Für das Projekt „Wandel der Nachtfalterfauna Baden-Württembergs seit 1970“ wurden von den bestehenden Quadranten aus der Landesdatenbank 25 Quadranten ausgewählt, die alle Biotope abdecken – von Felsflur und Magerrasen über Hochmoore hin zu Mischwäldern und Agrarflächen. In den Jahren 2019 und 2020 wurden Lichtfänge durchgeführt und zusätzlich einige Arten gezielt gesucht. Die so erzeugten rund 30.000 Datensätze wurden mit den rund 21.000 Datensätzen seit dem Jahr 2001 zusammengefasst und mit den rund 81.000 historischen Datensätzen aus den Jahren 1970–2000 verglichen.
Die Ergebnisse sind nicht überraschend, aber dennoch alarmierend: Während im historischen Zeitraum 1970–2000 durchschnittlich pro Quadrant 392 Arten gemeldet wurden, waren es ab dem Jahr 2000 nur noch 344 Arten – ein Rückgang um 12%. Interessant dabei ist, dass durchschnittlich 29% der Nachtfalter-Arten gar nicht mehr gefunden wurden, aber rund 17% neue Arten hinzukamen. Es bleibt aber bei einer Netto-Abnahme der Arten von 12%. Zudem verringerte sich die Zahl der Quadranten mit hoher Artenvielfalt (>400 Arten) von 11 auf 4. Besonders stark zeigen sich diese Trends bei den ohnehin gefährdeten Arten der Roten Liste.
Die Verlierer sind so wunderschöne Falter wie die Röhricht-Goldeule Plusia festucae (Feuchtgebiete; von 21 auf 6 Quadranten), das Trockenrasen-Flechtenbärchen Setina irrorella (Trockenrasen; von 11 auf 2 Quadranten) oder der als gefährdet eingestufte Herbst-Zackenrandspanner Ennomos autumnaria (lichte Wälder, Gebüsche, Parkanlagen; von 5 auf 1 Quadrant). Unter den wenigen Gewinnern ist z.B. das Kleine Eichenkarmin Catocala promissa, das warme Waldränder und Gebüsche bevorzugt und als Klimagewinner gilt (von 5 auf 10 Quadranten).
Neben der Anzahl der Arten nahm auch die Anzahl der Individuen stark ab. Während in den Jahren 1970–2000 noch bei 20 Arten weit über 100 Exemplare pro Lichtfang ins Netz gingen, war dies in den Jahren 2001–2020 nur noch bei 11 Arten der Fall. Insgesamt halbierten sich die Falterzahlen nahezu.
Die Ursachen dieses Rückgangs wurden in diesem Projekt nicht näher untersucht, allerdings haben sich zahlreiche andere Studien der letzten Jahren mit diesem Thema befasst. Zu den Ursachen zählen Habitatverlust durch zunehmende Lebensraumzerstörung, aber auch der Strukturwandel in der Landschaft: durch Flurbereinigung verschwinden artenreiche Raine und Säume, Magerrasen und Nasswiesen werden häufig aufgeforstet, was die ursprünglichen Arten verschwinden lässt. Hoher Nährstoffeintrag durch die Landwirtschaft führt zu mastigem Pflanzenwuchs, also zu überaus üppigen Pflanzen mit schwachen Zellwänden, die wenig standfest und anfällig für Krankheiten sind. Dadurch verändert sich auch das Mikroklima hin zu feucht und kühl, zudem sterben viele Raupen beim Fressen von Pflanzen mit zu hohem Stickstoffgehalt. Selbstverständlich machen den Schmetterlingen auch Pflanzenschutzmittel (v.a. in der Bodenseeregion), Lichtverschmutzung und nicht zuletzt der Klimawandel zu schaffen.
Mithilfe solcher langfristigen Monitoring-Projekte werden die Veränderungen dokumentiert und die Kenntnisse über die Arten als Grundlage für den Naturschutz erweitert. Und dieser Naturschutz ist dringend notwendig!
Die Ergebnisse dieser umfangreichen Studie wurden von Oliver Karbiener und Robert Trusch in einem Doppelband zusammengefasst. Dieser ist auch bei uns im Museumsshop zu finden.
Quellen:
Oliver Karbiener, Robert Trusch (2022): Wandel der Nachtfalterfauna Baden-Württembergs seit 1970. Band I–II. Andrias 22,I–IX + 1–808. Karlsruhe.
Landesdatenbank Schmetterlinge Baden-Württemberg www.schmetterlinge-bw.de
Weitere Links:
www.nachtfalter-bw.de
Die Vitrine finden Sie in der Nähe des Museumsshops.