W
      
      
        einhardt
      
      
        :
      
      
        D
      
      
        arwin
      
      
        und die Theologie
      
      
        11
      
      
        ungefähr zwei Jahre nachdem sie ihn geheiratet
      
      
        hatte, in einem Brief: „Hoffentlich prägt die Ge-
      
      
        wohnheit, in der wissenschaftlichen Arbeit nichts
      
      
        zu glauben, bevor es bewiesen ist, nicht Dein
      
      
        ganzes Denken: Es gibt auch Dinge, die nicht in
      
      
        derselben Art zu beweisen sind, deren Wahrheit
      
      
        über unser Fassungsvermögen geht. Ich möchte
      
      
        auch sagen, daß im Abweisen der Offenbarung
      
      
        eine Gefahr liegt [...]: das ist die Sorge, undank-
      
      
        bar zu sein, wenn Du leugnest, was zu Deinem
      
      
        Besten und zum Besten der ganzen Welt getan
      
      
        wurde und was Dich noch umsichtiger, vielleicht
      
      
        sogar besorgt machen sollte, ob Du Dir auch wirk-
      
      
        lich alle Mühe gegeben hast, um richtig urteilen
      
      
        zu können [...] Alles, was Dich angeht, geht auch
      
      
        mich an, und ich werde sehr unglücklich, wenn
      
      
        wir einander nicht für alle Zeit angehörten“.
      
      
        Hier kommt sie zum Vorschein, die von der Ehe-
      
      
        frau geäußerte Furcht, ihr Mann würde in der
      
      
        Ewigkeit aufgrund seines Unglaubens von ihr
      
      
        getrennt werden! D
      
      
        arwin
      
      
        antwortete seiner Frau,
      
      
        ebenfalls schriftlich (aber so, dass sie die Ant-
      
      
        wort erst nach seinem Tod finden würde): „Wenn
      
      
        ich tot bin, sollst du wissen, dass ich den Brief
      
      
        viele Male geküsst und Tränen über ihn vergos-
      
      
        sen habe“ (D
      
      
        arwin
      
      
        , 2008
      
      
        a, S. 273f.).
      
      
        Welches Gefühl brachte ihn wohl zu Tränen? War
      
      
        es die Rührung über die Fürsorge seiner Frau,
      
      
        war es Trauer darüber, dass er ihr Anlass für
      
      
        Kummer war? Aus späterer Zeit (um 1861) ist ein
      
      
        weiterer Brief E
      
      
        mma
      
      
        s an C
      
      
        harles
      
      
        überliefert. Sie
      
      
        schrieb ihm: „Ich bin mir gewiß, daß Du weißt,
      
      
        daß ich Dich genug liebe, um Dein Leiden fast
      
      
        so zu empfinden, als sei es mein eigenes, und
      
      
        mein einziger Trost ist der Glaube, daß alles von
      
      
        Gott geschickt ist; und ich versuche zu glauben,
      
      
        daß alles Leiden und alle Krankheit uns aufer-
      
      
        legt sind, damit wir unseren Geist erheben und
      
      
        voll Hoffnung auf ein zukünftiges Leben blicken
      
      
        können [...] Gefühl, nicht Denken drängt uns zum
      
      
        Gebet“.
      
      
        An dieser Stelle zeigt sich ein sehr problema-
      
      
        tischer Zug traditioneller christlicher Frömmigkeit:
      
      
        Die chronische Krankheit ihres Mannes deutet
      
      
        E
      
      
        mma
      
      
        D
      
      
        arwin
      
      
        als eine von Gott verhängte päda-
      
      
        gogische Maßnahme. Das Leid in dieser Welt soll
      
      
        ihn empfänglich machen für die Hoffnung auf ein
      
      
        besseres Leben im Jenseits. Charakteristisch für
      
      
        ihre religiöse Haltung, die wohl der europäischen
      
      
        Erweckungsbewegung zuzuordnen ist, ist auch
      
      
        die Aussage, dass das Gefühl der Weg zu Gott
      
      
        sei und nicht das Denken. C
      
      
        harles
      
      
        D
      
      
        arwin
      
      
        argu-
      
      
        mentiert nicht mit Gefühlen, er wägt in religiösen
      
      
        Zusammenhängen Vernunftgründe gegeneinan-
      
      
        der ab. So blieb ihm gar nichts anderes übrig, als
      
      
        diesen Brief inhaltlich unbeantwortet zu lassen.
      
      
        Er setzte auf den Rand die Worte: „Gott seg-
      
      
        ne dich. C
      
      
        harles
      
      
        D
      
      
        arwin
      
      
        , 1868 (
      
      
        D
      
      
        arwin
      
      
        , 2008
      
      
        a,
      
      
        S. 275f.). Das eine religiöse Segensformel!
      
      
        In seiner Autobiografie geht C
      
      
        harles
      
      
        D
      
      
        arwin
      
      
        auf
      
      
        solche Gedanken seiner Frau ein: „Ich kann nun
      
      
        wirklich nicht einsehen, warum sich jemand wün-
      
      
        schen sollte, das Christentum sei wahr; wenn es
      
      
        nämlich wahr wäre, dann, das scheint mir die
      
      
        Sprache des Textes unmißverständlich zu sa-
      
      
        gen, würden alle Menschen, die nicht glauben,
      
      
        also mein Vater, mein Bruder und fast alle mei-
      
      
        ner nächsten Freunde, ewig dafür büßen müs-
      
      
        sen. Und das ist eine verdammenswerte Doktrin“
      
      
        (
      
      
        D
      
      
        arwin
      
      
        , 2008
      
      
        a, S. 96).
      
      
        D
      
      
        arwin
      
      
        teilte also die Überzeugung seiner Frau,
      
      
        dass nach der christlichen Lehre ungläubige
      
      
        Menschen ewig verdammt seien. Zu diesem Ab-
      
      
        schnitt der Autobiografie ihres Mannes setzte
      
      
        E
      
      
        mma
      
      
        D
      
      
        arwin
      
      
        nach seinem Tod, im Verlauf des
      
      
        Editionsprozesses, diesen Kommentar: „Ich
      
      
        möchte die eingeklammerte Passage nicht ver-
      
      
        öffentlicht sehen. Sie scheint mir roh zu sein.
      
      
        Über die Lehre, dass der Unglauben bis in alle
      
      
        Ewigkeit bestraft wird, kann man gar nicht streng
      
      
        genug sprechen – aber nur wenige würden diese
      
      
        Lehre jetzt ‚Christentum‘ nennen (auch wenn die
      
      
        Worte da stehen). Hier geht es auch um die Frage
      
      
        der verbalen Inspiration“ (D
      
      
        arwin
      
      
        , 2008
      
      
        a, S. 164).
      
      
        Dieser Kommentar deutet darauf hin, dass E
      
      
        mma
      
      
        D
      
      
        arwin
      
      
        eine Wandlung ihrer theologischen Vor-
      
      
        stellungen durchgemacht hat. Sie hält jetzt die
      
      
        Aussage für tadelnswert, dass „Unglauben bis
      
      
        in alle Ewigkeit bestraft“ werde. Damit zeigt sie
      
      
        sich jetzt als eine Vertreterin der Allerlösungs-
      
      
        lehre, die zwar damit rechnet, dass Menschen
      
      
        im Jüngsten Gericht bestraft werden. Aber diese
      
      
        Strafen haben rein pädagogische Ziele, sollen
      
      
        zur Selbsterkenntnis und Reue der Schuldigen
      
      
        führen, und sie enden nach mehr oder weni-
      
      
        ger langer Zeit. Die Allerlösungslehre wurde im
      
      
        englischen radikalen Pietismus um 1700 ent-
      
      
        deckt (W
      
      
        einhardt
      
      
        , 2008).
      
      
        Offensichtlich haben
      
      
        C
      
      
        harles
      
      
        und E
      
      
        mma
      
      
        D
      
      
        arwin
      
      
        über dieses Thema
      
      
        miteinander diskutiert. Denn C
      
      
        harles
      
      
        D
      
      
        arwin
      
      
        hatte in dem von seiner Frau gerügten Abschnitt
      
      
        der Autobiografie betont, es sage „die Sprache
      
      
        des Textes unmißverständlich“, dass die Höllen-
      
      
        strafe ewig dauere – er wehrt also relativierende
      
      
        Interpretationen der entsprechenden Bibelverse
      
      
        ab und will sie buchstäblich verstanden wissen.
      
      
        E
      
      
        mma
      
      
        D
      
      
        arwin
      
      
        bezieht sich auf diesen postumen
      
      
        Einwand ihres Mannes mit dem Vermerk: „[...]