carolinea, 68
(2010): 49-60, 1
Abb.; Karlsruhe, 30.12.2010
49
Flechtengesellschaften der Namibwüste
V
olkmar
W
irth
Kurzfassung
Aus der Namibwüste werden fünf Flechtenassozia­
tionen auf der Grundlage der Braun-Blanquet-Methode
neu beschrieben. Das Caloplacetum elegantissimae,
das Pertusarietum pseudomelanosporae, das Leca-
noretum substylosae und das Lecanoro panis-erucae-
Roccelletum montagnei besiedeln Silikatgestein und
nischen sich oft eng benachbart entsprechend einem
Feuchte-Gradienten ein, der, stark vom Relief beein-
flusst, vom Nebelfeuchte-Eintrag bestimmt wird. Wäh-
rend im Lecanoro panis-erucae-Roccelletum monta-
gnei neben Krustenflechten auch Strauchflechten eine
wesentliche Rolle spielen, werden die übrigen Gemein-
schaften fast ganz aus Krustenflechten bzw. aus an pla-
codioide Krustenflechten erinnernde, eng anliegenden
Laubflechten aufgebaut. Die bekannten Teloschistes
capensis-Flechtenfelder werden dem Teloschistetum
capensis ass. nova zugeordnet; eine phytosoziologisch
befriedigende Behandlung der Flechtenfelder war bis-
lang infolge mangelhafter taxonomischer Kenntnisse
nicht möglich. Das Lecidelletum crystallinae wird mit
weiterem Aufnahmematerial dokumentiert.
Abstract
Lichen communities of the Namib Desert
Five new lichen associations are described on the basis
of the Braun-Blanquet method, four of which, Caloplace-
tum elegantissimae, Pertusarietum pseudomelanospo-
rae, Lecanoretum substylosae and Lecanoro panis-eru-
cae-Roccelletum montagnei occur on siliceous rocks. In
suitable habitats, the associations are found in a zonati-
on pattern according to a fog moisture gradient.With the
exception of the Lecanoro panis-erucae-Roccelletum
montagnei, which is characterized by several fruticose
species, the associations are dominated by crustose
species or by foliose species reminiscent of placodioid
crustose lichens. The well known lichen fields with Telo-
schistes capensis are assigned to the Teloschistetum
capensis ass. nova which is documented by relevés for
the first time. The gypsum-inhabiting Lecidelletum cry-
stallinae is documented with further relevés.
Autor
Prof. Dr. V
olkmar
W
irth
,
Staatliches Museum für Natur-
kunde, Erbprinzenstraße 13, D-76133 Karlsruhe
Einleitung
Flechten spielen in der Namibwüste eine erheb-
liche Rolle. An etlichen Orten sind sie so üppig
entwickelt, dass sie das Bild der Vegetation be-
stimmen. Dieses Phänomen hängt eng mit der
ökophysiologischen Konstitution der Flechten
zusammen, insbesondere der Poikilohydrie, also
der Fähigkeit, schadlos auszutrocknen und bei
Wasserzufuhr rasch wieder stoffwechselaktiv
zu werden, ferner mit der Fähigkeit, mit der ge-
samten Oberfläche Feuchtigkeit aufzunehmen,
vielfach selbst aus nicht wasserdampfgesättigter
Atmosphäre. Samenpflanzen sind dagegen auf
Wasser im Wurzelraum angewiesen, das an Wü-
stenhabitaten gewöhnlich nicht ausreichend zur
Verfügung steht. Unter diesen Gegebenheiten
haben Flechten sichtliche Wettbewerbsvorteile.
Trotz der erwähnten, stellenweise spektakulären
Massenentwicklung waren bis vor kurzem die
Flechtenbiota Südwestafrikas bezüglich ihrer
Artenstruktur ganz ungenügend bekannt. Viele
Arten waren entweder noch nicht beschrieben
oder wurden erstmals für dieses Gebiet oder
den afrikanischen Kontinent nachgewiesen (z.B.
E
gea
et al. 1997, H
ale
1990,
K
rug
&
S
ang
1995,
H
ertel
&
W
irth
2006,
W
irth
et al. 2005, W
irth
2010).
Daher war es auch nicht möglich, Flech-
tengesellschaften gültig zu beschreiben, was
soziologische Aufnahmen und Tabellen mit voll-
ständigen Artenlisten voraussetzt.
In dieser Arbeit werden einige in den küstenna­
hen Randgebieten der Namibwüste weit verbrei-
tete Flechtengesellschaften vorgestellt, die sich
teilweise bereits im Gelände als unterschiedlich
strukturierte Biota habituell erkennen lassen.
Davon ist eine, das Gips-bewohnende Lecidel-
letum crystallinae, erst vor kurzem publiziert
worden (W
irth
&
B
ungartz
2009);
sie wird hier
mit weiterem Aufnahmematerial belegt. Fünf Ge-
sellschaften werden neu beschrieben. Eine von
ihnen entspricht der in Namibia sehr bekannten,
durch Teloschistes capensis orange gefärbten
Flechtenfeld“-Gesellschaft der Sand-/Kiesflä-
chen vor allem der zentralen Namibwüste. Die
übrigen siedeln auf Silikatgestein, und zwar ge-
wöhnlich auf dem in der Namib weit verbreiteten
Dolerit, einem basischen magmatischen, dem
Basalt chemisch ähnlichen Silikatgestein. Die er-
wähnten Arten sind mit wenigen Ausnahmen in
W
irth
(2010)
beschrieben.