Carolinea 78
50 Carolinea 78 (2020) Diese Gespinste kann man besonders in sehr individuenreichen Jahren (z. B. 2009) beobach- ten. Sie sind nicht das Ergebnis von Eiablagen an dieser Pflanze, sondern kommen auf andere Weise zustande. Raupen, die sich außerhalb des Nestes befinden (z. B. zum Fressen), fal- len gelegentlich auf den Boden und finden nicht mehr zum ursprünglichen Nest zurück. Sie ernähren sich folglich von Wirtspflanzen in der Krautschicht. In mehreren Fällen wurden mit Jungraupen besetzte Eschenblätter bzw. Blattfiedern am Boden liegend gefunden. Wahr- scheinlich waren die Blätter/Blattfiedern nicht optimal durch Gespinstfäden abgesichert, so- dass es (eventuell begünstigt durch Wind) zum Herunterfallen kam. Manche Raupen sind offen- sichtlich in der Lage, dann auf krautige Pflanzen am Boden umzusiedeln und dort kleinere Ge- spinste zu bilden. Im Jahr 2020 konnte durch A ndré G rabs (Frei- burg) im Steigerwald beobachtet werden, wie mehrere Weibchen ihre Eier in der Krautschicht an Langblättrigem Ehrenpreis ( Veronica longi- folia ) ablegten (Abb. 15). Dies stellt den ersten gesicherten Nachweis für Eiablagen an einer krautigen Pflanze in Deutschland dar. Bei ei- ner gemeinsamen Begehung von A. G rabs und dem Autor im Juli 2020 konnten im Steigerwald mehrere Raupengespinste am Langblättrigen Ehrenpreis festgestellt werden (Abb. 16). Ferner wurden einige Raupennester an Gewöhnlichem Schneeball ( Viburnum opulus ) gefunden. In einem Teilbereich des Habitats waren immerhin bereits rund ein Drittel der Gespinste nicht mehr an Esche. Offensichtlich findet hier mit dem Aus- weichen auf weitere Pflanzenarten gegenwärtig eine Erweiterung des Ablagemusters statt. Eiablagen an krautigen Pflanzen sind beispiels- weise aus Finnland bekannt, wo die Art vorzugs- weise an Wiesen-Wachtelweizen ( Melampyrum pratense ) lebt ( W ahlberg 1998). Zudem gibt es Berichte von Ablagen an Langblättrigem Ehren- preis aus Polen ( S ielezniew & D ziekanska 2016). Wie diese Verhaltensänderung im Steigerwald zu werten ist, muss abgewartet werden. Ein mög- licher Zusammenhang ist insbesondere in der zunehmenden Trockenheit zu sehen, die durch die Nähe zum Boden ein Stück weit kompensiert wird. Auch der durch das Eschentriebsterben verursachte Rückgang der für die Reproduktion geeigneten Eschen könnte damit im Zusammen- hang stehen. Beide Faktoren zusammen haben in den vergangenen Jahren schon zu starken Rückgängen geführt ( D olek et al. 2018). 3.2.4 Verlassen der Wirtsbäume, Anlegen der Überwinterungsgespinste Die L3-Raupen ziehen sich nach Beendigung der sommerlichen Nahrungsaufnahme (in der Regel zwischen Mitte Juli und Anfang August) gruppenweise in ältere Gespinstbereiche zurück. Häufig wirken diese Gespinste bereits verlassen, da keine Aktivität mehr zu erkennen ist und die zuletzt befressenen Blattfiedern durch Vertrock- nung dieselbe Farbe annehmen wie die älteren Gespinstbereiche. Meistens verkriechen sich die Raupen nicht in die zuletzt eingesponnen Blattfiedern, sondern suchen ältere Teile des Gespinstes auf, häufig am Ende des Eschen- zweiges. Hier findet die Häutung ins vierte Lar- valstadium statt. Dieser Vorgang dauert minde- stens vier Tage bis zu gut einer Woche. Nach der Häutung verlassen die Raupen nun die Esche und müssen zur Überwinterung auf den Boden gelangen. E bert & R ennwald (1991, nach E ber - hard ) beschreiben diesen Vorgang so, dass sich die Raupen gezielt auf den Boden fallen lassen. Auch das Ausharren im Gespinst und anschlie- ßendes Herunterfallen mit den Blättern wird er- wähnt. Beides konnte vom Autor nie beobachtet wer- den. Vielmehr wandern die Raupen nach Ver- lassen der Gespinste den entsprechenden Ast in Richtung des Stammes und letztlich diesen hinunter, um sich dann am Boden zur Überwinte- rung zurückzuziehen. Die Raupen kommen ent- weder einzeln oder in kleinen Gruppen aus dem Gespinst und versuchen, möglichst schnell den Wirtsbaum zu verlassen (Abb. 17). Die Abstände zwischen den Raupen sind unterschiedlich lang (manchmal nur wenige Zentimeter bis hin zu ein, zwei Metern), je nachdem wie groß die zeitlichen Abstände beim Verlassen des Nestes sind. Für eine Strecke von rund vier Metern (Ast und Stamm) benötigten einzelne Raupen etwa eine halbe Stunde. Es fällt auf, dass die Raupen beim Hinunterkriechen sehr leicht abfallen. Da die Raupen zügig Ast und Stamm entlangkriechen, reichen kleinste Unebenheiten oder Erschütte- rungen aus und sie fallen zu Boden. Möglicher- weise lassen sich so die Angaben erklären, dass die Raupen sich gezielt zu Boden fallen lassen würden. Gelegentlich fallen aber auch Raupen, die im L3- oder L4-Kleid sind und das Fressen eingestellt haben, tatsächlich mit den eingespon- nenen Blättern auf den Boden. Allerdings hat es den Anschein, dass dies meist zufällig geschieht. S elzer (1918) beschreibt ebenfalls diese beiden Varianten des Verlassens der Eschen (Herun-
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