Sponheimer Seltenheit

Saxifraga rosacea sponhemica (C.C.Gmel.) D.A.Webb

Karoline Luise, Markgräfin von Baden (1723–1783), war eine leidenschaftliche Sammlerin naturkundlicher Objekte. Sie übernahm das bescheidene Naturalienkabinett ihres Schwiegervaters und erweiterte es auf wissenschaftlichen Grundlagen. Diese Sammlungen bildeten den Grundstein des späteren Naturkundemuseums Karlsruhe. Ab 1785 wurde dieses Naturalienkabinett von Carl Christian Gmelin verwaltet, einem Botaniker, der auch der erste Direktor wurde [1].
Das markgräfliche Haus beauftragte ihn, ein botanisches Lehrbuch über die Pflanzenwelt Badens und des Elsass zu erstellen [2]. Hierfür unternahm er viele Exkursionen durch die Regionen beidseits des Oberrheins. Durch die Unruhen während der Französischen Revolution war es in den 1790er Jahren schwierig, die Grenzregion sicher zu bereisen. Trotzdem ließ er sich nicht von dem Unterfangen abhalten und sammelte unbeirrt Pflanzen (Belege) für die botanische Sammlung des Naturalienkabinetts (Herbar) [3]. Dieses musste er zeitweise nach Ansbach auslagern (1794–1798), damit die Sammlungsstücke vor drohenden französischen Überfällen gesichert waren [1].
Bei Burgsponheim, im heutigen Rheinland-Pfalz (damals Baden), fand Gmelin bereits 1789 einen ungewöhnlichen Steinbrech (s. Abb. 1). Die Form der Grundblätter (der zugespitzte Blattzipfel, der in eine Granne ausläuft; s. Abb. 2) unterschied sich deutlich von den bislang bekannten Arten [4] [5]. Somit beschrieb Gmelin die Pflanze als eine neue Art, Saxifraga sponhemica. Gmelin sammelte die Pflanze nicht nur als Herbarbeleg für das Naturalienkabinett, sondern brachte auch lebende Exemplare in den Botanischen Garten Karlsruhe, den er ebenfalls verwaltete. Später wurden auch einige der dort wachsenden Exemplare in das Herbar eingebracht.
An diesem hier ausgestellten Exemplar (s. Abb.3) beschrieb Gmelin im Jahr 1806 die neue Art Saxifraga sponhemica. Solche Belege werden als „Typus“ bezeichnet und gelten als Referenzen für Beschreibungen der jeweiligen Arten und Unterarten [6]. Entsprechend sind sie wissenschaftlich besonders wertvoll und werden meist mit einem roten Etikett markiert. In diesem Falle ist die gesamte Herbarmappe rot, was schon von außen den wertvollen Inhalt anzeigt. Auf dem Herbarbogen sind neben der getrockneten Pflanze auch die detaillierten Zeichnungen zu sehen, die Gmelin bei der Beschreibung der Art anfertigte.


Im Zweiten Weltkrieg wurden große Teile der wertvollen Sammlung des Naturkundemuseums, so auch das Badische Landesherbar, bei Luftangriffen zerstört. Nur wenige Belege blieben unversehrt. Glücklicherweise befanden sich Gmelins Herbarbelege in diesen schicksalhaften Jahren nicht in Karlsruhe: sie wurden von Gmelins Vorgesetzten, dem Oberbibliothekar Johann Christoph Döll, nach Gemlins Tod 1837 erworben. Über ihn ging die Sammlung später an den Badischen Botanischen Verein, der seinen Sitz in Freiburg hatte (ab 1909 Badischer Landesverein für Naturkunde) [7]. Über weitere Umwege kam das Herbar schlussendlich an das Botanische Institut der Universität Freiburg und wurde 1962 wieder dem Naturkundemuseum in Karlsruhe überlassen [1].

Nach heutigem wissenschaftlichen Stand ist die von Gmelin beschriebene Art eine Unterart des Rasen-Steinbrech Saxifraga rosacea. Sie wird entsprechend Saxifraga rosacea ssp. sponhemica genannt oder auch Rheinischer (Rasen-)Steinbrech. Dieser Steinbrech lebt in kalkarmen Felsspalten und Schuttfluren (s. Abb. 4) westlich des Mittelrheins und an der Lahn in Westhessen. Da ein Großteil der Gesamtpopulation in diesen Regionen liegt, ist Deutschland für diese auf der Internationalen Roten Liste als gefährdet eingestufte Art „in besonders hohem Maße verantwortlich“ [8]. Die Art kommt auch an wenigen Stellen in Belgien, Luxemburg, Frankreich und Tschechien vor [5].

 

Weiterführende Links:

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Quellen:

[1] Rietschel, S. (Hrsg.) (1985): Vom Naturalienkabinett zum Naturkundemuseum 1785 – 1985. Geschichte der Landessammlungen für Naturkunde Karlsruhe. Karlsruhe.

[2] Gmelin, C. Chr. (1805): Flora Badensis Alsatica. Online abgerufen unter: https://www.e-rara.ch/zut/wihibe/content/titleinfo/11613686 (27.03.2023)

[3] Vierordt, C. F. (1839): Biographische Notiz Karl Christian Gmelin. Flora No. 16. Online abgerufen unter: https://books.google.de/books?id=Av9AAQAAMAAJ&pg=RA3-PA241&lpg=RA3-PA241&dq=flora+nr.+16+biographische+notiz+karl+christian+gmelin&source=bl&ots=O1_1yKn5U_&sig=ACfU3U1TVsXScOajQH0Htrkyn9G9Y7MXdw&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwit1Pmjn_DgAhUC16QKHbqHAKkQ6AEwBXoECAMQAQ#v=onepage&q=flora%20nr.%2016%20biographische%20notiz%20karl%20christian%20gmelin&f=false (27.03.2023)

[4] Schmeil, O.; Fitschen, J., Rauh, W. (1982): Flora von Deutschland und seinen angrenzenden Gebieten: Ein Buch zum Bestimmen der wildwachsenden und häufig kultivierten Gefäßpflanzen. 87. Auflage, Quelle und Meyer Verlag. S. 185.

[5] Müller, F., Ritz, C.M., Welk, E., Wesche, K. (Hrsg.) (2011): Rothmaler – Exkursionsflora von Deutschland. Gefäßpflanzen: Grundband. 20. Auflage, Springer Verlag. S. 345

[6] Lexikon der Biologie (1999): Typus. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg. Online abgerufen unter: https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/typus/68195 (27.03.2023)

[7] Maus, H. (1892): Dölls Herbar. Mitteilungen des Badischen Botanischen Vereins. Online abgerufen unter: https://www.zobodat.at/pdf/Mitt-Badisch-Bot-Ver_1892_0006-0010.pdf (27.03.2023)

[8] Metzing, D.; Garve, E.; Matzke-Hajek, G.; Adler, J.; Bleeker, W.; Breunig, T.; Caspari, S.; Dunkel, F.G.; Fritsch, R.; Gottschlich, G.; Gregor, T.; Hand, R.; Hauck, M.; Korsch, H.; Meierott, L.; Meyer, N.; Renker, C.; Romahn, K.; Schulz, D.; Täuber, T.; Uhlemann, I.; Welk, E.; Weyer, K. van de; Wörz, A.; Zahlheimer, W.; Zehm, A. & Zimmermann, F. (2018): Rote Liste und Gesamtartenliste der Farn- und Blütenpflanzen (Trachaeophyta) Deutschlands. – In: Metzing, D.; Hofbauer, N.; Ludwig, G. & Matzke-Hajek, G. (Red.): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands. Band 7: Pflanzen. – Münster (Landwirtschaftsverlag). – Naturschutz und Biologische Vielfalt 70 (7): 13-358. Online abgerufen unter: https://www.rote-liste-zentrum.de/de/Detailseite.html?species_uuid=f87ab4c2-561e-4f81-b0bd-d2a3e8f19f54&species_organismGroup=Farn-%20und%20Bl%C3%BCtenpflanzen&q=saxifraga%20rosacea (27.03.2023)