W
einhardt
:
D
arwin
und die Theologie
7
von Nazareth), von denen die biblischen Texte
jeweils die sekundäre Dokumentation darstellen.
Die sekundäre Dokumentation ist in ihrem Wort-
laut abhängig von dem jeweiligen Weltbild, das
zur Zeit ihrer Abfassung herrschte und das nicht
wesentlich ist für den gegenwärtigen Glauben
(
W
einhardt
2010
b, S. 143f.).
Diese Krise der Theologie und die Etablierung ei-
ner historisch-kritischen Interpretation der Bibel
bedeutete eine gewaltige Herausforderung der
Theologie seitens der sich entwickelnden Na-
turwissenschaften. Der damit initiierte Klärungs-
prozess ist noch heute nicht völlig abgeschlos-
sen, was die fundamentalistischen Impulse am
äußersten konservativen Rand der christlichen
Konfessionen, vor allem des Protestantismus,
zeigen. Aber die neuzeitliche Naturwissenschaft
hatte der Theologie auf der anderen Seite auch
ein Werkzeug in die Hand gegeben, womit die-
se versuchen konnte, die Plausibilitätskrise des
Christentums zu überstehen. Dieses Werkzeug
die natürliche Theologie der Barockzeit – wur-
de mit D
arwin
s Evolutionstheorie allerdings zer-
brochen.
2.3
Die natürliche Theologie der Barockzeit
Durch die naturwissenschaftlichen Arbeiten der
frühen Neuzeit kam der stoische Gottesbeweis
zu einer neuen Blüte. Die Zoologen und Botani-
ker etwa, aber auch die Mediziner, stießen bei
ihren Studien auf eine enorme Vielzahl von ana-
tomischen Strukturen, die einen hohen Grad von
funktionaler Feinabstimmung zeigen. Die Welt
erschien nun auf einmal um viele Grade geord-
neter als es sich die Stoa jemals hätte träumen
lassen. Indem also die Naturwissenschaften
auf der einen Seite heftige Zweifel an der Bibel
schürten, ermöglichten sie es andererseits, den
Glauben an die Existenz Gottes noch viel durch-
schlagender zu beweisen als jemals zuvor. Die
geoffenbarte Theologie, die sich auf Bibeltexte
stützte, geriet in die Kritik; aber die natürliche
Theologie, die auf der Wahrnehmung der Natur
und auf der natürlichenVernunft beruhte, gewann
zusätzliche Gewissheit (R
ohls
, 1997,
S. 155f.)
Ein eifriger Verfechter der Physikotheologie
war etwa der Pfarrer F
riedrich
C
hristian
L
esser
(1692-1754)
mit seinem 1738 erschienenen
Buch: Insecto-Theologia oder Vernunfft- und
schrifftmäßiger Versuch, wie ein Mensch durch
aufmercksame Betrachtungen derer sonst wenig
geachteten Insecten zu lebendiger Erkänntnis
und Bewunderung der Allmacht, Weißheit, der
Güte und Gerechtigkeit des großen Gottes ge-
langen könne. Am Ende eines Gedichtes über
den Bienenstaat ermahnt er einen ungläubigen
neuzeitlichen Gelehrten:
Was sagst du nun, verstockter Atheist,
Der du des Schöpfers Sein und Macht in
Zweifel ziehest,
Wenn du die Polizei der Bienen siehest?“
3
Die Feinabstimmung des Verhaltens der einzel-
nen Ameisen, die nicht durch Vernunft, sondern
alleine durch Instinkt gesteuert sind, ist für L
esser
ein Argument für die Notwendigkeit der Existenz
Gottes. Ähnlich sind die Gedichte des Hamburger
Senators und Richters B
arthold
H
inrich
B
rockes
(1680-1747)
gestrickt. Sein Hauptwerk ist die
neunbändige Gedichtsammlung: Irdisches Ver-
gnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und
Moralischen Gedichten. In jedem physikalischen
Gedicht greift B
rockes
ein naturkundliches Phä-
nomen auf, um daraus moralische und religiöse
Konsequenzen zu ziehen. Er behandelt neben
vielem Anderem auch die Klimazonen der Erde,
die schon die stoischen Philosophen im Blick
hatten:
Gott hat, o weise Wundermacht!
Die man ohn‘ Ehrfurcht nicht ermißt,
Da, wo das meiste Holz von Nöten ist,
Das meiste Holz hervorgebracht:
Wie denn von je und je im kalten Norden
Es mehr als anderwärts gefunden worden.“
Was B
rockes
über das viele Holz in den tro-
pischen Urwäldern dachte, entzieht sich unserer
Kenntnis.
Mit der natürlichen Theologie des 18. Jahrhun-
derts sind wir bei C
harles
D
arwin
angelangt.
D
arwin
war Theologe von Beruf – zumindest
hatte er seinen einzigen akademischen Grad in
diesem Fach erworben – , und die Theologie, die
er zuerst selbst vertrat und die er dann mit tiefem
existenziellem Engagement reflektierte, war die
natürliche Theologie.
3
D
arwin
s Theologie
3.1
Biografische Eckdaten
C
harles
D
arwin
(1809-1882)
studierte zunächst,
in den Spuren seines Vaters, Medizin an der
Universität von Oxford (1825-1827). Nach dem
Abbruch dieses Studiengangs erlaubte ihm sein
Vater das Theologiestudium in Cambridge. Doch
3
Polizei“ hier im Sinne von „Staat“, „Staatsverfassung“. Dieses
und das folgende Zitat bei B
arth
,
S. 456, 460.