
M
ittmann
& H
avelka
: Zur Geschichte gefährdeter Nutztierrassen; Kronenkammhühner
111
des Himmels und der Erde“ (1262–63) ist die
erste kosmologische Zusammenfassung des
zeitgenössischen Wissens in arabischer Spra-
che. Diese reich bebilderte Abhandlung war sehr
stark verbreitet, wurde schon damals auch ins
Türkische und Persische übersetzt und ist noch
heute in vielen Kopien erhalten geblieben.
Im Kapitel über die „Sechste Art der Lebewesen:
Die Vögel“ findet sich das Bild eines Huhns mit
einem ausgeprägten Kronenkamm (Abb. 7a).
Bildliche Darstellungen waren im 13. Jahrhundert
häufig noch flächenhaft. Trotz der eher an ein Or-
nament erinnernden Abbildung eines Haushahns
zeigt der Künstler deutlich, worauf es ihm ankam:
auf die Verdoppelung des Einfachkammes. Im
zugehörigen Text ist dazu zu lesen: „Man sagt,
der Hahn sei der Aufrufer mit dem roten Bart und
der gezackten Krone...“. Die Folgeseite verdeut-
licht dieses Anliegen: Hier wird eine der wohl zur
gleichen Hühnerherde gehörigen Hennen ein-
deutig mit einem Einfachkamm dargestellt (Abb.
7b). Dies ist ein deutlicher Hinweis auf das heute
noch im arabischen Raum verbreitete Kronen-
kammhuhn, das Dandarawi-Huhn, welches dort
in gemischten Fortpflanzungsgemeinschaften
aus kronen- und einfachkämmigen Individuen
vermehrt wird (siehe oben).
Bis ins ausgehende Mittelalter erlebten die be-
schreibenden Naturwissenschaften in Europa
einen unaufhaltsamen Niedergang, von dem
auch die Ornithologie nicht verschont geblieben
war. Tierbeschreibungen beschränkten sich auf
kritiklos übernommenes, meist von klassischen
griechischen Schriftstellern wie etwa
A
ristoteles
oder
P
linius
. Viel Überliefertes gehörte noch in
das Reich der Fabeln und Sagen. Erst zu Beginn
des 16. Jahrhunderts verließen Naturforscher wie
der Schweizer
K
onrad
G
esner
(1516 – 1565), der
Italiener
U
lysses
A
ldrovandi
(1527 – 1606) und
der Franzose
P
ierre
B
elon
(1517 – 1564) die tra-
dierten Erkenntnisse der Antike und des Mittel-
alters, stellten eigene Naturbeobachtungen an,
tauschten ihre Erkenntnisse aus, diskutierten di-
ese und veröffentlichten schließlich vielbeachte-
te mehrbändige Buchwerke: „Historia animalium“
(
A
ldrovandi
1599 – 1603), „
L‘histoire de la nature
des oyseaux
“ (B
elon
1555), „
Historia animalium
“
(G
esner
1555
). Damit gelten sie auch als Mitbe-
gründer der modernen Zoologie. Alle drei Auto-
ren bedienten sich zwar aller nur erreichbaren
Quellen der Antike, der arabischen Welt und des
Mittelalters. Aber sie besaßen genügend Kritikfä-
higkeit, die Spreu der Dichtung vom Weizen der
Wirklichkeit zu trennen.
Zu ihren Quellen zählten die Reiseberichte, die
der venezianische Händler
M
arco
P
olo
(1254 –
1324) und der italienische Franziskanermönch
O
dorich
von
P
ortenau
(1265 – 1286) von ihren
Aufenthalten aus China mitbrachten und die mit
der Verbreitung des Buchdrucks in Mitteleuropa
rasch verbreitet wurden (
P
olo
1477, P
ortenau
1331, 1531
). In diesen Aufzeichnungen aus den
südlichen Regionen des heutigen Chinas und
seiner Nachbarländer finden sich auch Bemer-
kungen über das Auftreten von merkwürdigen
Hühnern. Im Königreich Fuju beobachtete
M
arco
P
olo
: „ Da ist noch etwas sehr seltsames, über
das ich berichten muss. Es gibt dort eine Art von
Hühnern ohne Federn nur mit Haaren wie ein
Katzenfell. Sie sind völlig schwarz, legen Eier wie
unsere Hühner und ihr Fleisch ist auch gut“.
O
do
-
rich
von
P
ortenau
sieht ähnliches im Königreich
Mangi: „Als ich weiter ostwärts reiste, kam ich in
die Stadt Fuco wo es außergewöhnlich große
und schöne Hähne gibt, weiß wie Schnee mit
Wolle an Stelle der Federn wie unsere Schafe.“
Aufgegriffen wurden diese Beschreibungen of-
fenbar auch von
J
ehan
de
M
andeville
(
J
ohn
M
an
-
deville
oder
J
ohn
of
M
andeville
), so nannte sich
der unbekannte Verfasser einer zwischen 1357
und 1371 zusammengestellten französischspra-
chigen Schilderung einer Reise ins Heilige Land
und den Fernen Osten. Auch er berichtet aus
Südchina: „Ich will euch sagen von weißen Hen-
nen on Federn. In dem land seind weiß hennen
die habend nicht federn aber si habend woll als
die schaf.“ Dazu ist in der deutschen Ausgabe,
die
A
nton
S
org
(1480) in Augsburg besorgte,
zum ersten Mal ein Holzschnitt zweier weißer
„Wollhühner“ zu sehen (Abb. 8).
Nach diesen Berichten fehlt dann bei
G
esner
(1555) auch der Hinweis auf diese „Wollhühner“
nicht, die er mit einem Holzschnitt eines weißen
Hahns vorstellt (Abb.9).Die, wie bei Holzschnitten
üblich, spiegelbildliche Kopie dieses Schnitts ist
dann ebenso bei
A
ldrovandi
(1599 – 1603) zu fin-
den (Abb. 10), der dazu im begleitendenText auch
auf die besondere Form des Kammes hinweist:
„Gallina lanigera cum crista Galli Herbariorum“.
Der Hahn trägt einen deutlichen Becherkamm
und lässt die für die Haubenhühner kennzeich-
nende Aufwölbung der Nasenöffnungen erken-
nen. Diese Merkmale zusammen mit der aber-
ranten Gefiederbildung ist ein weiterer Hinweis
auf den frühen Weg der Haubenhühner aus dem
südlichen Ostasien entlang der Seidenstraße
über den Mittleren Osten und Kleinasien nach
Europa, wo diese Rasse heute als Seidenhuhn