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Carolinea 71

(2013)

Die Kontrolle von Zeckenpopulationen im Frei-

land scheint mit den beschriebenen Pathogenen

allerdings wenig aussichtsreich, da die Zielspe-

zies im Habitat zerstreut vorkommt. Außerdem

birgt die biologische Bekämpfung auch einige

Gefahren, da nicht nur die Zielorganismen ne-

gativ beeinflusst werden können (

G

insberg

et al.

2002). Nahrungsketten sind so komplex, dass

etwaige Veränderungen nicht vorhersehbar

sind, sodass eine natürliche Stabilität bzw. Dy-

namik verändert werden könnte, ohne die Kon-

sequenzen zu kennen. Die Pilzeinbringung kann

einen stark negativen Einfluss auf die Ökologie

des betreffenden Gebietes haben. Es gibt zahl-

reiche Beispiele über den Schaden, den negativ

verlaufene Biokontrollversuche verursacht haben

(

M

iller

&

A

plet

1993,

S

imberloff

&

S

tiling

1996).

Sehr artspezifische Mittel sind eher vertretbar:

Bei der alljährlichen Ausbringung von Toxinen

des

Bacillus thuringiensis israelensis

(BTI) zur

Stechmückenbekämpfung (z.B. im Rheingraben)

wurden bisher nur wenige negative Auswirkungen

auf Nicht-Zielorganismen oder die betreffenden

Biozönosen verzeichnet (

L

acey

2007). Allerdings

diskutieren Naturschützer in Deutschland einen

negativen Einfluss auf die Dichte der lokalen

Schwalbenpopulationen.

Manche der erwähnten Zeckenpathogene sind

bereits natürlich in Zeckenhabitaten vorhanden.

So kommt

Metarhizium anisopliae

natürlich im

Boden vor, ist aber nicht nur gegen Zecken pa-

thogen, sondern hat auch auf sieben Insekten-

ordnungen einen negativen Einfluss (

Z

immermann

1993). Es ist außerdem aus Nordamerika be-

kannt, dass der Parasitoid

Ixodiphagus hookeri

Populationen von

Ixodes scapularis

ausdünnen

kann. Es muss aber eine bestimmte Zecken-

dichte vorhanden sein, damit sich der Parasitoid

überhaupt etablieren kann (

S

tafford

et al. 2003).

Die hier aufgeführten und diskutierten Befunde

verdeutlichen, dass wir von einem etablierten,

vielseitig überprüften Verfahren zur Bekämpfung

von Zecken noch weit entfernt sind.

Da biologische Kontrollstrategien gegen Zecken

bisher nicht zufriedenstellend sind und es an der

Entwicklung von effektiven Impfstoffen gegen

Borreliose weiterhin mangelt, erscheint es sinn-

voll, andere Faktoren zu untersuchen, die den

Schutz der menschlichen Bevölkerung zum Ziel

haben. Ein gewisser Schutz vor Zeckenstichen

und vor den dadurch übertragenen Krankheiten

kann durch ein verbessertes Wissen über die

zeitliche und räumliche Verteilung der Zecken-

arten und Pathogene erreicht werden. Basis da-

für ist:

1.Detailliertes Wissen über die Habitatpräfe-

renzen der wichtigsten Zeckenarten.

2.Die Informationen sollten auf einer quanti-

tativen Zeckensammlung in freier Natur und

auf Analysen mithilfe geografischer Informa-

tionssysteme (GIS-Analysen) beruhen. Diese

Angaben sollten mit den parallel erhobenen

Infektionsraten der Zecken mit humanpatho-

genen Erregern korreliert werden. Die Unter-

suchungen müssen monatlich über einen Zeit-

raum von mindestens 5 Jahren durchgeführt

werden, um genug Daten zu erhalten, die auch

natürliche oder anthropogen bedingte Verän-

derungen einschließen.

Ziel: Aufklärung der Bevölkerung darüber, wel-

che Gebiete zu meiden sind.

3.DetailliertesWissen über Zecken- undWirtspo-

pulationsdynamiken und deren gegenseitige

Abhängigkeiten.

Auch dieses Wissen sollte wiederum mit den

Infektionsraten von Zecken mit Humanpatho-

genen korreliert werden. Solche Studien müs-

sen in ausgewählten, bekannten Habitaten

durchgeführt werden.

Ziel: Information darüber, welche Jahre bezüg-

lich der Infektion des Menschen risikoreich sind.

5 Fazit

Die Aussagekraft fast aller europäischen Publi-

kationen, die die Dynamik und die Kontrolle von

Zeckenpopulationen und zeckenübertragenen

Krankheiten behandeln, ist äußerst zweifelhaft.

Erstens basieren diese Arbeiten hauptsächlich

auf Korrelationen zwischen Zecken und Um-

weltfaktoren (z.B.

P

erret

et al. 2000), wobei Kor-

relationen keine Kausalität darstellen können.

Zweitens wird die wahre Komplexität der Situa-

tion nicht ausreichend berücksichtigt. So werden

Veränderungen in der Dichte von Wirtspopulati-

onen und diese eventuell beeinflussende klima-

tische Faktoren oft ignoriert (z.B.

B

iletska

et al.

2008). Drittens wurden die meisten Studien nur

kurzfristig durchgeführt und berücksichtigen so-

mit nicht die natürliche Variabilität über mehrere

Jahre (z.B.

G

assner

et al. 2008). Das Vernach-

lässigen dieser Faktoren ist verständlich, da z.B.

die langfristige Untersuchung einer Säugetierpo-

pulation aufwendig ist. Somit war es für Europa

bisher nicht möglich, ein befriedigendes Modell

für zeckenübertragene Krankheiten zu erarbei-

ten, da das Wissen über die Beziehung zwi-