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M

ittmann

& H

avelka

: Zur Geschichte gefährdeter Nutztierrassen; Kronenkammhühner

103

Gattung der Kammhühner (

Galli

), bei der vier

Wildhuhnarten unterschieden werden: das Rote

Kammhuhn (

Gallus gallus

), zu dem auch das ja-

vanische Bankiva-Huhn (

Gallus gallus bankiva

)

als eine von fünf Unterarten zählt, das Graue

Kammhuhn oder Sonnerat-Huhn (

Gallus sonne-

rati

), das Gelbe Kammhuhn oder Lafayette-Huhn

(

Gallus lafayette

) und das Grüne Kammhuhn

oder Gabelschwanzhuhn

(Gallus varius

), die alle

in Ostasien beheimatet sind.

Wurde früher angenommen, das javanische

Bankiva-Huhn sei der direkte Vorfahre unserer

Haushühner, muss man heute beim Haushuhn,

wie bei anderen Nutztierrassen auch, davon

ausgehen, dass dieses mehrfach domestiziert

worden ist oder einmal domestizierte Formen

auf Wanderungen/Reisen von den Menschen

als lebender Proviant mitgenommen und in Ge-

biete anderer Unterarten verschleppt wurden.

Molekularbiologische Untersuchungen machen

wahrscheinlich, dass am heutigen Haushuhn

mindestens drei andere der fünf Unterarten des

Roten Kammhuhns beteiligt sind:

Gallus g. gallus

aus Thailand und Vietnam,

Gallus g. spadiceus

aus Myanmar, Laos und Malaysia und

Gallus g.

jabouillei

aus Vietnam, Südwest-China und Laos

(

L

iu

et al. 2006).

Älteste archäologische Nachweise des Haus-

huhns aus dem Industal datieren zwischen 2500

und 2100 v. Chr. Funde in der Hebei-Provinz Chi-

nas deuten aber darauf hin, dass das Huhn viel-

leicht schon früher, in einem Zeitraum zwischen

5900 und 5400 v. Chr. domestiziert wurde (

W

est

& Z

hou

1988). Das Haushuhn wurde bald west-

wärts nach Mesopotamien, Nordafrika und Grie-

chenland exportiert. Die griechische Kolonisation

im westlichen Mittelmeer und Handelskontakte

bis nach Mitteleuropa dürften die Voraussetzung

für Funde des Haushuhnes nördlich der Alpen

bereits im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. sein. Grö-

ßere Verbreitung fand das Haushuhn bei uns in

Mitteleuropa aber erst seit der Römerzeit.

Schon damals wurden Haushuhn-Rassen ge-

zielt vermehrt. In den Schilderungen von

A

ri

-

stoteles

(350 v. Chr.) und

C

olumella

(70 n. Chr.)

sind Beschreibungen von Rassehühnern und

angewandter Selektion zu finden. Neben der

Nahrungsproduktion diente das Huhn auch als

kulturelles und religiöses Symbol. Gleichzeitig

wurden Rassen zum Hahnenkampf oder einfach

nur als Ziergeflügel vermehrt. So belegen Funde

von Haubenhühnern in einem römisch-britischen

Tempelkomplex in West Hill, Uley (Somerset,

Großbritannien) und Magdalenenberg im öster-

reichischen Kärnten diese Vermutungen (

B

roth

­

well

1979).

Bis in die Neuzeit wurden Hühner überwiegend

auf Bauernhöfen in Freihaltung gehalten und

als bodenständige Landschläge vermehrt. Hier

wurden sie nur nach ihrer Robustheit und ihrer

Leistung, der Fleischmenge und der Fleisch-

qualität und der Zahl und der Größe der Eier

beurteilt. Daher sind sie in ihrem Aussehen oft

nicht einheitlich. Die

M

endel

‘schen Regeln waren

noch weitgehend unbekannt, Linienzucht, Rück-

kreuzung und Inzucht eher zufällig als geplant.

Die Inhomogenität des Erbgutes in den Land-

schlägen brachte es daher nicht selten mit sich,

dass rezessive Merkmale von den dominanten

verdeckt und über Generationen versteckt mit-

geschleppt wurden. Diese rezessiven Merkmale

treten dann nach vielen Jahren, manchmal erst

nach Jahrzehnten, plötzlich wieder phänotypisch

in Erscheinung – früher ein Wunder oder ein

Rätsel, heute mit Hilfe der Genetik meist leicht

erklärbar.

Im Zeitalter der Aufklärung ist hingegen in

G

eorges

-L

ouis

L

eclerc

de

B

uffon

s (1707 –

1788) „Naturgeschichte der Vögel“ über den

Haubenhahn noch zu lesen: „Dieser Hahn

unterscheidet sich durch einen starken Feder-

busch auf seinem Kopf, und gemeiniglich durch

einen schwächeren Anwachs des Kammes.Ver-

muthlich enstehet letzter daher, weil ein Theil

der Nahrung, die gänzlich zur Unterhaltung des

Kammes gehöret, hier zum Anwachsen des

Federbusches verwendet wird… Übrigens haben

die Menschen auf die geschöpften Hühner von

je her die meiste Sorgfalt und Wartung verwen-

det. Wie es nun bey den Sachen, die man am

nächsten um sich hat, zu geschehen pfleget,

so hat man auch hier eine große Menge von

Verschiedenheiten, besonders in den Farben

der Federn bemerket, woraus dann eine Men-

ge verschiedener Gattungen gemacht worden,

die man desto höher schätzet, je schöner und

seltsamer die Farben ihrer Federn ausfallen:

z.B. die Gold- oder Silberhühner, die weiße mit

schwarzem oder die schwarze mit weißem Fe-

derbusch, die Achat und Gemsenfarbige, die

Schieferfarbige, die Fischschuppen- und Her-

melinartige, die Witwe, mit kleinen weißen Trop-

fen auf bräunlichem Grund. Ich zweifle doch

aber sehr, daß dergleichen Unterscheidungs-

merkmale beständig und wesentlich genug

sind, um wirklich unterschiedene Gattungen

auszumachen, wie manche Hühnerfreunde

vorgeben, die sogar behaupten, daß viele be-