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Carolinea 71
(2013)
gleichzeitig infiziert sein und all diese Pathogene
potenziell auch übertragen, was beim Patienten
oftmals diagnostische Probleme und einen
schweren klinischen Verlauf verursacht (
C
inco
et al. 1997,
L
eutenegger
et al. 1999,
S
wanson
et
al. 2006). Doppelinfektionen von
Ixodes ricinus
sind auch aus Baden-Württemberg bekannt, tre-
ten jedoch lediglich bei ca. 1 % der untersuchten
Zecken auf (
B
aumgarten
et al. 1999,
O
ehme
et al.
2002).
3.1.2 Klimatische und landschaftliche
Veränderungen
Die Anzahl der Neuinfektionen des Menschen
mit
Borrelia
-Spezies bzw. FSME wächst in Mit-
tel- und Nordeuropa seit Mitte der 1980er-Jahre
(
R
andolph
2001). Daten aus Schweden zeigen,
dass dies eng mit den monatlichen mittleren Tem-
peraturen im Sommer, der Anzahl der Tage mit
Temperaturen unter 0
o
C im Winter und weniger
eng mit dem monatlichen mittleren Niederschlag
und den Sommertagen mit einer relativen Luft-
feuchtigkeit von über 86 % korreliert (
L
indgren
&
G
ustafson
2001,
B
ennet
et al. 2006).
2006 gab es einen Höchststand in der Anzahl
von FSME-Fällen in einigen europäischen Län-
dern. Das Jahr 2006 hatte einen ungewöhnlich
kalten Winter, gefolgt von einem der heißesten
Sommer seit der Wetteraufzeichnung (
R
andolph
et al. 2008). Versuche, die steigende Anzahl der
FSME-Krankheitsfälle dem globalen Klimawan-
del zuzuschreiben, schlugen statistisch jedoch
fehl (
S
umilo
et al. 2007,
R
andolph
et al. 2008). Es
schien viel mehr, dass menschliche Freizeitaktivi-
täten, wetterbezogen verstärkt im Freien, zu der
erhöhten FSME-Häufigkeit geführt hatten (siehe
auch
R
andolph
2001). Andererseits deuten Zir-
kulationsmodelle, die die Daten von Krankheits-
ausbreitung und Klima verbinden, sogar an, dass
FSME in Mitteleuropa graduell verschwinden
wird und sich ein neues Zentrum der Krankheit
in Skandinavien etabliert (
R
andolph
&
R
ogers
2000). Generell fehlen allerdings Informationen
über den Effekt des Klimas auf den natürlichen
Wirt der Erreger oder die komplexe Interaktion
zwischen Wirt, Zecke und Pathogen.
3.2 Interaktionen zwischen Pathogen und
Zecke
In Baden-Württemberg ist das Spektrum der von
Ixodes ricinus
übertragenen Krankheiten mit fünf
Borrelia
-Arten, FSME,
Anaplasma phagocytophi-
lum
und weiteren, weniger häufig auftretenden
Pathogenen sehr groß. Dies verkompliziert die
epidemiologische Lage.
Erhebliche Unterschiede bestehen in der Präva-
lenz (im prozentualen Anteil) der einzelnen Pa-
thogene in
Ixodes ricinus,
abhängig sowohl von
der Jahreszeit und der geografischen Lage als
auch von den unterschiedlichen Entwicklungssta-
dien der Zecke innerhalb desselben Gebiets und
derselben Jahreszeit. In einer Studie über
Ixodes
ricinus
in drei unterschiedlichen Habitaten im
Siebengebirge bei Bonn konnten z.B. erheblich
höhere Prävalenzen von
Borrelia burgdorferi
s.l.
in feucht-warmen Eschen-, Ahorn- und Hainbu-
chenwäldern als im trockenen Kalk-Buchenwald
festgestellt werden (
K
ampen
et al. 2004). Interes-
santerweise hatte die Durchseuchung im Ver-
gleich zu zehn Jahren zuvor zugenommen (
K
ur
-
tenbach
et al. 1995).
Andere Untersuchungen
haben gezeigt, dass die Prävalenzen von
Borrelia
burgdorferi
s.l. und
Anaplasma phagocytophilum
in weiblichen
Ixodes ricinus
erheblich höher sein
können als in Männchen oder in Nymphen und
dass beachtliche regionale Unterschiede beste-
hen (
G
rzeszczuk
et al. 2002,
C
hmielewska
-B
adora
et al. 2007). Die Gründe für solche Unterschiede
sind bisher unbekannt.
Obwohl
Ixodes ricinus
der wichtigste Vektor
von zeckenübertragenen Krankheitserregern in
Deutschland ist, sind verschiedene andere Arten
ebenfalls von epidemiologischer Relevanz (
S
ku
-
balla
2007, 2010). Viele dieser Arten sind relativ
wirtsspezifisch und bauen epidemiologische Sub-
zyklen auf, die den Menschen nur am Rande be-
einflussen.
Ixodes uriae
z.B., eine Zecke mariner
Vogelarten sowohl der kalten Breitengrade der
nördlichen als auch südlichen Hemisphäre, über-
trägt
Borrelia garinii
. Aufgrund der engenWirtsprä-
ferenz des Vektors scheint das Transmissionsha-
bitat aber relativ abgeschlossen zu sein, und eine
Übertragung des Bakteriums auf den Menschen
wurde durch diese Zecke bisher nur sehr selten
nachgewiesen (
O
lsen
et al. 1993, 1995,
E
strada
-
P
eña
&
J
ongejan
1999,
S
mith
et al. 2006).
In Bezug auf die auf Wild parasitierenden Zecken
und ihre Pathogene gibt es in Baden-Württem-
berg bislang zu wenige Informationen, um die
epidemiologische Situation klar zu verstehen. Al-
lerdings lassen Daten über die Igelzecke
Ixodes
hexagonus
vermuten, dass sie neben
Ixodes rici-
nus
als sekundärer Vektor an epidemiologischen
Zyklen von z.B.
Borrelia afzelii
,
Borrelia garinii
,
Borrelia spielmanii
,
Anaplasma phagocytophi-
lum
und FSME beteiligt ist, auch wenn sie die