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68

Carolinea 71

(2013)

3.3.3 Natürliche Bewegungen und

Wirtsfindung

Generell können Zecken hinsichtlich ihrer Wirtfin-

dungsstrategie in drei Gruppen eingeteilt werden.

Einige Spezies, wie die Igelzecke

Ixodes hexa-

gonus

, haben einen sehr geringen Aktionsradius

und leben eng assoziiert mit ihren Wirten (Kate-

gorie 1). Die Übertragung erfolgt in ihrem Nest

oder an den Ruheplätzen (

O

liver

1989). Andere

Arten, besonders einige der großen

Hyalomma-

und

Amblyomma-

Zecken, die in Deutschland

nicht vorkommen, bewegen sich aktiv im Gelän-

de, um ihre Wirte zu finden (Kategorie 2).

Ixodes

ricinus

,

Dermacentor marginatus

und

Dermacen-

tor reticulatus

gehören zur großen dritten Gruppe

von Zecken, die im Hinterhalt sitzend auf ihren

Wirt warten (Kategorie 3,

O

liver

1989).

Wir wissen nur wenig über die Entfernungen,

die Zecken abseits eines Wirtes zurücklegen.

Feldstudien an

Ixodes scapularis

in Nordameri-

ka zeigten, dass adulte Zecken für Strecken von

fünf und mehr Metern mehrere Wochen brau-

chen und Nymphen sich in Distanzen von zwei

bis drei Metern bewegen (

C

arroll

&

S

chmidtmann

1996). Experimentelle Studien im Labor haben

dokumentiert, dass

Ixodes-ricinus

-Nymphen

sich vermehrt nach Einsetzen der Dunkelheit be-

wegen und ihre Aktivität bei niedriger Luftfeuch-

tigkeit nachlässt (

P

erret

et al. 2003).

C

rooks

&

R

andolph

(2006) experimentierten mit

Ixodes-

ricinus

-Nymphen mit unterschiedlichen Fett- und

Kohlehydratreserven. Es zeigte sich, dass die

Individuen mit größeren Nährstoffreserven sich

eher horizontal bewegen, während sich solche

mit schlechterem Ernährungszustand eher in

Richtung höherer Luftfeuchtigkeit orientieren.

Horizontale Bewegungen scheinen bei allen

Stadien von

Ixodes ricinus

natürlicherweise nur

in geringem Umfang vorzukommen (

C

rooks

&

R

andolph

2006). Informationen über

Dermacen-

tor

-Arten sind rar, jedoch folgen beide in Baden-

Württemberg gefundene Arten dem Sitzen-und-

Warten-Muster; große Fortbewegungsstrecken

sind eher untypisch (

H

arlan

&

F

oster

1990,

L

ane

et al. 1995). Zusammengefasst lässt sich sagen:

Keine der Spezies, die in Baden-Württemberg

für den Menschen von Bedeutung sind, bewegt

sich losgelöst vom Wirt über weite Strecken in

der Umwelt. Der dennoch vorhandene große

Aktionsradius beruht auf dem Herumstreifen der

Wirte.

Zeckenarten, die auf ihre Wirte warten, zeigen

oftmals ausgeprägte vertikale Bewegungsmu-

ster. Generell klettern diese Arten der Kategorie

3 auf niedrige Vegetation wie Grashalme bis in

einen Meter Höhe, wo

Questing

stattfindet, also

die Wirtssuche, indem das vordere Beinpaar mit

seinen Sinnesorganen (

Pulvilli

) ausgestreckt

wird (

M

ejlon

&

J

aenson

1997,

P

etney

et al. un-

veröffentlichte Daten). Falls die Zecke dehydriert

und das Feuchtigkeitsniveau am Boden höher

ist als in der Luft, kann ein auf- oder abwärts-

gerichtetes Klettern zwischen dem Wartepunkt

und dem Boden vorkommen (

P

erret

et al. 2000).

Dabei schränkt eine Infektion mit

Borrelia burg-

dorferi

s.l.  u.a. die Bewegungsaktivität bei

Ixodes

ricinus

ein, erhöht aber die Bewegungsintensität

auf dem menschlichen Wirt (

A

lekseev

&

D

ubinina

2000).

Bewegung schließt nicht nur die Suche nach

einem adäquaten Ansitzpunkt, von wo aus ein

Wirt besiedelt werden kann, oder die Verhinde-

rung von Dehydrierung ein, sondern kann als

freie, gerichtete Bewegung der Zecke entlang

eines Umweltgradienten auch auf bestimmte

Wirtsstimuli

hin ausgerichtet sein. Es ist schon

lange bekannt, dass Wirtstiere CO

2

produzieren

und dass Zecken dadurch stimuliert werden und

sich in Richtung der CO

2

-Quelle bewegen (

W

il

-

son

et al. 1972). Dies gilt auch für

Ixodes rici-

nus

, obwohl die Datenlage hier unübersichtlich

ist.

G

ray

(1985) testete in Irland die Effektivität

von CO

2

-Fallen, die kontinuierlich von Anfang

Mai bis Mitte Juni zum Sammeln von

Ixodes ri-

cinus

aufgestellt wurden. Zwei Gebiete wurden

ausgewählt, eines mit einer höheren Zecken-

dichte und ein anderes mit einer geringeren. In

beiden Gebieten wurde eine große Anzahl aller

Entwicklungsstadien gesammelt, wobei die CO

2

-

Fallen sich als effektiver als die konventionelle

Flaggmethode

erwiesen. Allerdings fand man

in einem Experiment mit gezielt im Gelände mit

einem Abstand zwischen einem halben und vier

Metern zur platzierten Falle verteilten Nymphen,

Männchen und Weibchen nur wenig Bewegung

in Richtung der CO

2

-Falle (

G

ray

1985).

Ixodes ricinus

zeigt nur geringe genetische Un-

terschiede zwischen seinen Populationen, was

auf hohe Raten von Genaustausch rückschlie-

ßen lässt. Dieser erfolgt wahrscheinlich durch

eine Durchmischung der Populationen über Vö-

gel und verschiedene Säuger mit großen, sich

überlappenden Territorien (

D

elaye

et al. 1997).

Die Horizontalbewegung der Zecken erfolgt da-

bei offenbar nicht aus eigener Kraft, sondern

basiert auf der Zuhilfenahme des Wirts als Ve-

hikel.