
P
etney
at al.: Zecken und zeckenübertragene Krankheiten in Baden-Württemberg
69
3.3.4 Populationsdynamik
Zur Bestimmung der Populationsdichte von Ze-
cken sind verschiedene Methoden gebräuchlich.
Das verbreitetste Vorgehen besteht darin, Stoff-
fahnen über die Vegetation zu ziehen (
Flaggen
).
Etwa 10 % der Zecken, die auf der beflaggten
Vegetation auf Wirtssuche sind, können an-
schließend auf diesem Stoff krabbelnd gefunden
werden (
D
aniels
et al. 2000,
T
älleklint
-E
isen
&
L
ane
2000). Die Größe des geflaggten Gebiets
und der Zeitraum, über den geflaggt wurde, er-
möglichen eine gute quantitative Schätzung der
in diesem Gebiet vorhandenen Zecken. Aufgrund
von Vegetationsunterschieden, die das Flaggen
beeinflussen können, und der biotypisch unter-
schiedlichen Wahrscheinlichkeit, dass eine Ze-
cke bereits einen Wirt gefunden hat, erhält man
durch diese Methode allerdings keine standardi-
sierte Information. Die Populationen von Zecken
verschiedener Untersuchungsgebiete können
auf diese Weise nicht zuverlässig miteinander
verglichen werden (
R
andolph
2004). Genauere
Befunde können nur erhalten werden, indem
man zusätzlich die Anzahl der Zecken auf den
Wirten und die Populationsdichte der Wirte un-
tersucht.
Jahreszeitliche Häufigkeitsschwankungen sind
von allen frei lebenden, hier berücksichtigten
Zeckenarten bekannt; bei
Rhipicephalus san-
guineus
ist dies nicht der Fall, da diese Art in
Deutschland ausschließlich in Gebäuden vor-
kommt, wo Temperatur und Luftfeuchtigkeit von
der Außenwelt weitgehend abgekoppelt sind.
Sowohl bei
Ixodes ricinus
als auch
bei
Derma-
centor reticulatus
zeigen Adulte und Nymphen
ein ausgeprägtes bimodales Muster, d.h., sie
kommen meist gehäuft im Frühling und Herbst
vor, während die Larven ihren Peak im Sommer
haben (
K
orenberg
2000,
K
urtenbach
et al. 2006,
P
fäffle
et al. 2011).
Dermacentor marginatus
folgt einem ähnlichen Muster, wobei die Adulten
z.T. auch spät im Winter gefunden werden kön-
nen (
P
etney
unveröffentlichte Daten).
Das arttypische jahreszeitliche Häufigkeitsmu-
ster muss aber nicht immer klar zutage treten.
Zwischen einzelnen Jahren kann es erhebliche
Schwankungen geben (
K
urtenbach
et al. 2006).
Darüber hinaus existieren in Europa auch Ge-
biete, in denen sich ein anderes Schema er-
kennen lässt, z.B. in Südengland und Irland mit
seinem milden Klima.
N
ilsson
(1988) untersuchte
Gebiete in Schweden. Dort wurden Proben in den
Jahren 1968, 1969 und 1970 von März bis No-
vember einmal im Monat gesammelt. Die Peak-
Intensität der Larven variierte erheblich zwischen
den Jahren, der Peak trat jeweils im August, Sep-
tember und Oktober auf. 1968 und 1970 wurden
kleinere Peaks im Oktober und Juli festgestellt,
während 1969 lediglich eine einzelne Häufig-
keitsspitze beobachtet wurde. Die Unterschiede
zwischen den Jahren waren für die Nymphen
weniger drastisch, obwohl der typische Peak im
Frühling komplett fehlte (
N
ilsson
1988). In allen
Untersuchungsgebieten zeigte sich, dass es jah-
reszeitliche Muster gibt, diese aber beachtlichen
Schwankungen unterworfen sind und in einzel-
nen Jahren völlig ausfallen.
Unter der Vielfalt an Veröffentlichungen zur Ab-
undanz und Populationsdynamik von
Ixodes rici-
nus
,
Dermacentor marginatus
und
Dermacentor
reticulatus
finden sich leider nur wenige Lang-
zeitstudien, die sich über fünf Jahre und mehr er-
strecken. Die umfangreichsten Untersuchungen
wurden von
E
strada
-P
eña
et al. (2004) in Zen-
tralspanien an der Südgrenze des Verbreitungs-
gebiets von
Ixodes ricinus
durchgeführt. Diese
Studie erstreckt sich über neun Jahre. Gesam-
melt wurde durch 30-minütiges Flaggen. Larven
zeigten in den meisten Jahren einen einzigen
scharfen Peak im Juli/August, Nymphen konstant
zwei Peaks, wobei der im Frühling höher ausfiel
als der herbstliche. Bei den Adulten herrschte
eine bimodale Verteilung vor, die sich von der
in Zentraleuropa unterschied, da in Spanien der
Herbstpeak meist der höhere war. Interessan-
terweise kam es während des neunjährigen Un-
tersuchungszeitraums zu einem Anwachsen der
Populationsgrößen aller Entwicklungsstadien. Es
lassen sich dabei nur Vermutungen anstellen,
welche Faktoren die Zunahme der Zecken be-
wirkten.
E
strada
-P
eña
et al. (2004) vermuteten,
dass sowohl klimatische Faktoren als mögli-
cherweise auch eine verbesserte Verfügbarkeit
geeigneter Wirte eine Rolle spielten (siehe auch
E
strada
-P
eña
2003).
Abundanzvariationen bei Zecken und den von
ihnen übertragenen Pathogenen wurden in Ba-
den-Württemberg bisher nicht ausreichend un-
tersucht.
Teilweise kann man die Unregelmäßigkeiten
in der Abundanz auf methodische Fehler beim
Sammeln der Zecken zurückführen. Zum Beispiel
legen Weibchen von
Ixodes
-Arten ihre Eier in
einem Paket ab und sterben dann. Daher ist die
Dichte an Larven in der Umgebung einer solchen
Eiablage natürlicherweise stark erhöht. Auch
aufgrund solcher Erkenntnisse ist es angebracht,