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P

etney

at al.: Zecken und zeckenübertragene Krankheiten in Baden-Württemberg

67

Sollte dies zutreffen, nehmen wir an, dass

Ixodes

ricinus

, die leicht durch Vögel transportiert wer-

den kann, eine wesentlich gleichmäßigere Vertei-

lung innerhalb der entsprechenden Habitate auf-

weisen wird als

Dermacentor reticulatus

, deren

Verbreitung wegen des Fehlens von flugfähigen

Wirten (Tab. 2) mehr auf abgegrenzte Habitate

beschränkt sein wird.

Auch in Deutschland durchgeführte Untersu-

chungen belegen einen Zusammenhang zwi-

schen freilebenden Zeckenstadien und Zecken-

befall bei Wirbeltieren auf der einen Seite und

Faktoren des Habitats auf der anderen (

K

urten

-

bach

et al. 1995,

K

ampen

et al. 2004). Es handelt

sich dabei aber um lokal begrenzte Einzelbe-

funde, die jeweils auf eine Vegetationsperiode

beschränkt bleiben. Daten aus einer Studie von

S

chwarz

et al. (2009) aus dem Siebengebirge bei

Bonn sind sehr interessant, da hier gezeigt wird,

dass die Zeckendichte mit Temperatur, Luftfeuch-

tigkeit, Bodenfeuchtigkeit und Vegetation korre­

lierte. Allerdings wurden lediglich fünf Habitate

von Mai bis November eines Jahres untersucht

und nur Vermutungen über Zeckenabundanz und

Wirtsdichte aufgestellt.

Außer durch die Landschaftsnutzung und die mi-

kroklimatischen Gegebenheiten in diesen Habi-

taten scheint das Verbreitungsmuster von

Ixodes

ricinus

auch durch das Vorhandensein geeig-

neter Wirte bedingt zu sein. Welchen Anteil die

Wirtspräsenz dabei tatsächlich hat, wurde bisher

in Europa nicht in erforderlichem Maße unter-

sucht.

J

unttila

et al. (1999) zeigten jedoch, dass

große Säuger nicht für ein beständiges Vorkom-

men von

Ixodes ricinus

in einem Lebensraum er-

forderlich sind. Kleinsäuger wie Mäuse (

P

erkins

et al. 2006) oder

Insektivor

en wie Igel (

P

fäffle

et al. 2009) reichen als Wirte aus. Die lokale Ab-

wesenheit von Rehen, die nicht empfänglich für

Borrelia

-Infektionen sind und im Hinblick auf den

Erreger somit als ökologische Falle fungieren,

kann zu einer erhöhten Zahl von infizierten Ze-

cken führen.

Ixodes ricinus

ist dann nämlich auf

Nager angewiesen, die empfänglich für Infekti-

onen und dadurch für die Pathogenübertragung

von Bedeutung sind (

P

erkins

et al. 2006).

Eine hohe Dichte geeigneter Wirte wirkt sich för-

derlich auf die Populationsdichte von

Ixodes rici-

nus

und schließlich auf die Durchseuchung die-

ser Wirte und der Zecken mit Borrelien aus, wie

sich anhand einer Studie von

P

fäffle

et al. (2009)

zeigen ließ. 40 Igel wurden als experimentelle

Population in einem ausgedehnten Vorstadtgar-

ten über drei Jahre untersucht. Die Dichte dieser

Wirtspopulation überstieg die einer durchschnitt-

lichen wilden Vorstadtigelgesellschaft um das ca.

Fünf- bis Zehnfache.

Ixodes ricinus

baute unter

diesen Bedingungen mit einer hohen Dichte nur

einer Kleinsäugerspezies (andere Wirtsarten

wurden nicht zugelassen) bereits im ersten Jahr

sehr dichte Populationen auf. Die Abundanz die-

ser Zeckenart war etwa zehnmal höher als bei

normaler Wirtsdichte. Die Igel waren auch mit

der wirtsspezifischen Igelzecke

Ixodes hexago-

nus

infiziert. Interessanterweise konnte diese im

Nest übertragene Art nicht von der experimen-

tell erhöhten Wirtsdichte profitieren. Die Wech-

selbeziehungen zwischen den Wirten und den

Parasiten und Pathogenen können also recht

komplex sein.

Hohe Populationsdichten geeigneter Wirte müs-

sen nicht zwangsläufig mit einem Transmissi-

onsfokus (Übertragungszentrum) korreliert sein.

P

etney

et al. (2010) berichten von einem Vor-

stadtgarten, in dem im Winter und Frühjahr ca.

2.000 Stare in einem kleinen Bambuswäldchen

übernachten, was zu einer sehr hohen Dich-

te von

Ixodes ricinus

von bis zu 49 Zecken/m

2

Garten führte. Die vielen zu Boden fallenden

Zecken finden angesichts der wenigen dort le-

benden Kleinsäuger kaum geeignete Wirte. Bei

den in

Ixodes ricinus

nachgewiesenen Borrelien

handelte es sich um

Borrelia garinii

und

Borre-

lia valaisiana

(

P

etney

et al. 2010), zwei Arten mit

Präferenz für Vögel, die aber auch in Menschen

gefunden wurden. Für

Ixodes ricinus

und die

Borrelien stellt das Bambuswäldchen somit eine

ökologische Falle dar.

Es wurde oft spekuliert, ob sich aufgrund der

für Europa vorhergesagten steigenden Tem-

peraturen und der trockeneren Sommer (IPCC

2007) die Bedeutung von Zecken in den näch-

sten Jahrzehnten weiter erhöht (

L

indgren

et al.

2000,

R

andolph

2004). Dabei wird allerdings

nicht bedacht, dass das Überleben von Ze-

cken in hohem Maße durch die Luftfeuchtigkeit

und die Temperatur des Habitats reguliert wird.

Niedrige Luftfeuchtigkeit und hohe Tempera-

turen sind abträglich, während sehr hohe Luft-

feuchtigkeit bei den Zecken zu Pilzbefall führt

(

K

alsbeek

et al. 1995). Jedenfalls darf damit

gerechnet werden, dass zukünftige klimatische

Veränderungen einen modifizierenden Einfluss

darauf haben, welche Zeckenart in welchem

Habitat leben kann und ob sie dort Pathogene

dieser oder jener Art auf den Menschen über-

trägt. Was genau passieren wird, ist nicht vor-

hersehbar!