
P
etney
at al.: Zecken und zeckenübertragene Krankheiten in Baden-Württemberg
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Sollte dies zutreffen, nehmen wir an, dass
Ixodes
ricinus
, die leicht durch Vögel transportiert wer-
den kann, eine wesentlich gleichmäßigere Vertei-
lung innerhalb der entsprechenden Habitate auf-
weisen wird als
Dermacentor reticulatus
, deren
Verbreitung wegen des Fehlens von flugfähigen
Wirten (Tab. 2) mehr auf abgegrenzte Habitate
beschränkt sein wird.
Auch in Deutschland durchgeführte Untersu-
chungen belegen einen Zusammenhang zwi-
schen freilebenden Zeckenstadien und Zecken-
befall bei Wirbeltieren auf der einen Seite und
Faktoren des Habitats auf der anderen (
K
urten
-
bach
et al. 1995,
K
ampen
et al. 2004). Es handelt
sich dabei aber um lokal begrenzte Einzelbe-
funde, die jeweils auf eine Vegetationsperiode
beschränkt bleiben. Daten aus einer Studie von
S
chwarz
et al. (2009) aus dem Siebengebirge bei
Bonn sind sehr interessant, da hier gezeigt wird,
dass die Zeckendichte mit Temperatur, Luftfeuch-
tigkeit, Bodenfeuchtigkeit und Vegetation korre
lierte. Allerdings wurden lediglich fünf Habitate
von Mai bis November eines Jahres untersucht
und nur Vermutungen über Zeckenabundanz und
Wirtsdichte aufgestellt.
Außer durch die Landschaftsnutzung und die mi-
kroklimatischen Gegebenheiten in diesen Habi-
taten scheint das Verbreitungsmuster von
Ixodes
ricinus
auch durch das Vorhandensein geeig-
neter Wirte bedingt zu sein. Welchen Anteil die
Wirtspräsenz dabei tatsächlich hat, wurde bisher
in Europa nicht in erforderlichem Maße unter-
sucht.
J
unttila
et al. (1999) zeigten jedoch, dass
große Säuger nicht für ein beständiges Vorkom-
men von
Ixodes ricinus
in einem Lebensraum er-
forderlich sind. Kleinsäuger wie Mäuse (
P
erkins
et al. 2006) oder
Insektivor
en wie Igel (
P
fäffle
et al. 2009) reichen als Wirte aus. Die lokale Ab-
wesenheit von Rehen, die nicht empfänglich für
Borrelia
-Infektionen sind und im Hinblick auf den
Erreger somit als ökologische Falle fungieren,
kann zu einer erhöhten Zahl von infizierten Ze-
cken führen.
Ixodes ricinus
ist dann nämlich auf
Nager angewiesen, die empfänglich für Infekti-
onen und dadurch für die Pathogenübertragung
von Bedeutung sind (
P
erkins
et al. 2006).
Eine hohe Dichte geeigneter Wirte wirkt sich för-
derlich auf die Populationsdichte von
Ixodes rici-
nus
und schließlich auf die Durchseuchung die-
ser Wirte und der Zecken mit Borrelien aus, wie
sich anhand einer Studie von
P
fäffle
et al. (2009)
zeigen ließ. 40 Igel wurden als experimentelle
Population in einem ausgedehnten Vorstadtgar-
ten über drei Jahre untersucht. Die Dichte dieser
Wirtspopulation überstieg die einer durchschnitt-
lichen wilden Vorstadtigelgesellschaft um das ca.
Fünf- bis Zehnfache.
Ixodes ricinus
baute unter
diesen Bedingungen mit einer hohen Dichte nur
einer Kleinsäugerspezies (andere Wirtsarten
wurden nicht zugelassen) bereits im ersten Jahr
sehr dichte Populationen auf. Die Abundanz die-
ser Zeckenart war etwa zehnmal höher als bei
normaler Wirtsdichte. Die Igel waren auch mit
der wirtsspezifischen Igelzecke
Ixodes hexago-
nus
infiziert. Interessanterweise konnte diese im
Nest übertragene Art nicht von der experimen-
tell erhöhten Wirtsdichte profitieren. Die Wech-
selbeziehungen zwischen den Wirten und den
Parasiten und Pathogenen können also recht
komplex sein.
Hohe Populationsdichten geeigneter Wirte müs-
sen nicht zwangsläufig mit einem Transmissi-
onsfokus (Übertragungszentrum) korreliert sein.
P
etney
et al. (2010) berichten von einem Vor-
stadtgarten, in dem im Winter und Frühjahr ca.
2.000 Stare in einem kleinen Bambuswäldchen
übernachten, was zu einer sehr hohen Dich-
te von
Ixodes ricinus
von bis zu 49 Zecken/m
2
Garten führte. Die vielen zu Boden fallenden
Zecken finden angesichts der wenigen dort le-
benden Kleinsäuger kaum geeignete Wirte. Bei
den in
Ixodes ricinus
nachgewiesenen Borrelien
handelte es sich um
Borrelia garinii
und
Borre-
lia valaisiana
(
P
etney
et al. 2010), zwei Arten mit
Präferenz für Vögel, die aber auch in Menschen
gefunden wurden. Für
Ixodes ricinus
und die
Borrelien stellt das Bambuswäldchen somit eine
ökologische Falle dar.
Es wurde oft spekuliert, ob sich aufgrund der
für Europa vorhergesagten steigenden Tem-
peraturen und der trockeneren Sommer (IPCC
2007) die Bedeutung von Zecken in den näch-
sten Jahrzehnten weiter erhöht (
L
indgren
et al.
2000,
R
andolph
2004). Dabei wird allerdings
nicht bedacht, dass das Überleben von Ze-
cken in hohem Maße durch die Luftfeuchtigkeit
und die Temperatur des Habitats reguliert wird.
Niedrige Luftfeuchtigkeit und hohe Tempera-
turen sind abträglich, während sehr hohe Luft-
feuchtigkeit bei den Zecken zu Pilzbefall führt
(
K
alsbeek
et al. 1995). Jedenfalls darf damit
gerechnet werden, dass zukünftige klimatische
Veränderungen einen modifizierenden Einfluss
darauf haben, welche Zeckenart in welchem
Habitat leben kann und ob sie dort Pathogene
dieser oder jener Art auf den Menschen über-
trägt. Was genau passieren wird, ist nicht vor-
hersehbar!